Ultrakleine Reibung von Diamant durch Tribo-induzierte Pandey-Rekonstruktion

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Abb. 1: Reibregime I-V zweier wassergeschmierter Diamant-(111)-Oberflächen: Abhängigkeit der Reibung von der Wassermenge (oben); Struktur der Grenzfläche der Reibregime I-V (unten).

Dr. Takuya Kuwahara, Prof. Dr. Michael Moseler

Diamantschichten mit ihren außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften, ihrer hohen chemischen Stabilität und thermischen Leitfähigkeit sind ideale Materialsysteme für extreme tribologische Anwendungen wie die Bearbeitung von Gestein und nichteisenhaltigen Werkstoffen, das Schleifen von Edelsteinen oder die Nutzung als Triboschichten in aggressiven Umgebungen. Beeindruckende Fortschritte in den Wachstums- und Poliertechniken führten dazu, dass Diamantschichten mittlerweile Märkte erobern, bei denen es auf besonders kleine Reibung ankommt, beispielsweise bei Dichtungen oder mikroelektromechanischen Systemen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Reibung zwischen zwei Diamantschichten sehr stark von der  Luftfeuchtigkeit abhängt. Während im Ultrahochvakuum hohe Reibungskoeffizienten (µ > 1) zu messen sind, reichen schon wenige Prozent relative  Luftfeuchtigkeit aus, um die Reibung um zwei Größenordnungen zu senken (µ = 0,01). Bei derart kleinen Reibwerten spricht man von ultrakleiner Reibung.

Um diese Reibwertreduktionen zu erzielen ist es notwendig, kovalente chemische Bindungen zwischen den beiden Diamantreibpartnern zu verhindern. Normalerweise sind die Diamantreibflächen bereits nach dem Wachstum Wasserdampf ausgesetzt. Diamant mit unabgesättigten Oberflächenbindungen ist sehr reaktiv und  deshalb in der Lage, Wasser zu spalten. Daher ist der Diamant bereits vor der tribologischen Belastung mit Wasserstoff und Hydroxylgruppen passiviert. Infolge der Reibung kann sich aber wieder radikalischer Kohlenstoff bilden, was wiederum C-C-Bindungen zwischen den beiden Diamantreibpartnern nach sich zieht. Daher ist es wichtig, in tribologischen Anwendungen dafür zu sorgen, dass es zu einer schnellen Wiederabsättigung der aktivierten Bereiche kommt. Zwei Wiederabsättigungsmechanismen werden in der Fachwelt diskutiert: die Graphitisierung der Oberfläche und die Repassivierung durch H/OH-Gruppen. In den letzten Jahren wurde aber zunehmend berichtet, dass die zur Graphitisierung notwendige sp3→sp2 Phasenumwandlung zu einer Amorphisierung des Diamanten und damit verbunden zu hoher Reibung führen kann.

Um Klarheit in unser Verständnis ultrakleiner Reibung in Diamant zu bringen, wurden am Fraunhofer IWM großskalige Quantenmolekulardynamik-Rechnungen wassergeschmierter Diamantoberflächen durchgeführt [1]. Hierbei wurden zwei ideale, unpassivierte Diamantoberflächen mit (111)-Orientier ung mit 5 GPa gegeneinandergedrückt und mit 100 m/s gerieben. Dabei wurde die Anzahl der H2O-Schmierstoffmoleküle im Reibkontakt variiert, um zu untersuchen, wie die Höhe des Reibwerts und die Struktur der Reibfläche von der Feuchtigkeit im Reibspalt abhängen.

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Abb. 2: Zeitliche Entwicklung der Reibung im Regime III. Die Strukturbilder zeigen die Bildung einer Pandey-Rekonstruktion ausgehend von der idealen Oberfläche.

Reibregime wassergeschmierter Diamantoberflächen

Ausgehend von einer trockenen Reibpaarung unter Erhöhung der Menge des zwischen den beiden Diamanten eingeschlossenen Wassers wurden in den Simulationen folgende Reibregime beobachtet (Abbildung 1): (I) Kaltverschweißung der beiden Oberflächen gefolgt von Amorphisierung;  (II) Kaltverschweißung via C-O-C-Brücken ohne Amorphisierung; (III) aromatische Passivierung mittels einer PandeyOberflächenrekonstruktion; (IV) Grotthus-unterstützte Wasserspaltung und H/OH-Passivierung; (V) Bildung von Wasserlagen zwischen H/OH-passivierten Diamantreibpartnern. Während die Abbildung 1, oben, die Reibung als Funktion der Anzahl von Wassermolekülen zeigt, werden in Abbildung 1, unten, repräsentative Momentaufnahmen der Reibflächen für die

Regime I-V dargestellt. Interessanterweise sind die Regime I und V vor unseren Simulationen bereits bekannt gewesen, wohingegen die Regime II und III und der langreichweitige Transport von H3O+ und OH- (Grotthusmechanismus) in Regime IV als Novum angesehen werden müssen. Als wichtigste neue Erkenntnisse müssen hier betrachtet werden: –  Hohe Reibung muss nicht notwendigerweise mit der Amor-  phisierung des Diamanten einhergehen, sondern kann auch   über C-O-C-Äthergruppen erfolgen (Regime II). – Ultraniedrige Reibung muss nicht ausschließlich von einer H/OH-Passivierung erzeugt werden, sondern kann auch durch   eine aromatische Oberflächenrekonstruktion entstehen.

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Abb. 3: Die Pandey-Rekonstruktion einer Diamantoberfläche mit (111)-Orientierung.

Reibung bei weiterer Aromatisierung

Die Pandey-Rekonstruktion kann als erste Stufe hin zu einer vollständigen Aromatisierung der Diamant-(111)Oberfläche betrachtet werden. Bricht man zwischen zwei Pandey-Reibpartnern die restlichen Bindungen zwischen den C-Oberflächenatomen und den nächsten C-Lagen, so bildet sich eine Graphendoppellage aus, die in unseren Simulationen bereits im trockenen Zustand ultrakleine Reibung zeigt.

In kommenden Arbeiten sollen nun zusammen mit Industriepartnern die Grenzen der von uns gefundenen Regime hinsichtlich Druck- und Temperaturvariationen untersucht werden, um die Stabilität der ultrakleinen Reibungskoeffizienten in realen Anwendungen zu erhöhen.

 

[1] Kuwahara, T.; Moras, G.; Moseler, M., Friction regimes of water-lubricated diamond (111): role of interfacial ether groups and tribo-induced aromatic surface reconstructions, Physical Review Letters 119/9 (2017) 96101 1-6 Link

 

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